Text von Johanna Stadler, Pflegefachfrau und Silvia Berther, Berufsbildnerin auf der Palliative Care
Ralph Waldo Emerson, ein Philosoph und Schriftsteller, wusste schon im 19. Jahrhundert, dass das Leben eine Reise und kein Ankommen ist.
Auf der Palliativstation begleiten wir tagtäglich die Lebensreisen der uns Anvertrauten. Menschen, die zu uns kommen, durchleben intensive Zeiten. Sie alle kämpfen mit schwerwiegenden Erkrankungen. Oftmals gelingt es uns, ihnen ein Stück Lebensqualität zurückzugeben. Wenn belastende Symptome wie Schmerzen, Atemnot und Schwäche gelindert sind, dann kann der Fokus auf Lebensbejahendes und Lebenswertes gelegt werden.
Jeder dieser Menschen bringt – wie wir alle – seine ureigene Geschichte mit. Jeder hat Träume, Ziele und Wünsche, aber auch Ängste, Lasten oder Unverarbeitetes.
Manche sind jung, keine 30 Jahre alt. Sie sollten eigentlich noch eine ganz lange Reise vor sich haben und trotzdem ist sie am Ende. Sie wollten eine Familie gründen und die Welt entdecken. Andere wollten ihre Kinder aufwachsen sehen, freuen sich auf Enkelkinder oder wollten zusammen mit dem Partner alt werden. Krankheiten und Schicksalsschläge lassen ihre Pläne wie Seifenblasen platzen. Wir begleiten auch betagte Menschen, die in langen Lebensjahren Höhen und Tiefen durchwandert haben. Manche von ihnen sind müde und erschöpft, andere gehen dem Stück Weg, das vor ihnen liegt, heiter und gelassen entgegen.
Jeder von uns im Team trägt Geschichten von Patienten und ihren Familien mit sich, die einen sehr bewegen – die man am Ende des Arbeitstages nicht abstreifen kann wie Kleider und die immer wieder ins Gedächtnis kommen und berühren.
Ich stand vor einigen Jahren am Sterbebett einer ungefähr 60-jährigen Patientin. Sie hatte ein austherapiertes Lungenleiden. Auf der anderen Seite des Bettes war ihr Ehemann. Er erzählte in tiefster Wertschätzung von ihren gemeinsamen Jahren. Er habe seine Frau unendlich gerne gehabt, habe es ihr aber nie gesagt. Auch wenn ich ihm nicht versprechen konnte, dass sie jedes seiner Worte verstehen könne, so versicherte ich ihm, dass sie ihn höre. Ich bot ihm an, das Zimmer zu verlassen, damit er mit seiner Frau alleine sein könne. Das wollte er nicht. Seine Worte waren eine Liebeserklärung, die mich zu Tränen rührten.
Nach einem Moment des Schweigens fragte er mich, was er noch für seine Frau tun könne. „Sie sind da und das ist das Wichtigste“ war meine Antwort.
Einige Minuten später verstarb sie friedlich.
Jeder von uns im Team hat seine eigene Strategie mit Situationen und Erfahrungen wie diesen umzugehen. Eine gute Psychohygiene, die für jeden anders aussieht, ist unerlässlich. Manche finden ihre Kraft bei Familie und Freunden, andere im Team, wieder andere in der Natur, auf Reisen, bei einem guten Glas Wein, beim Sport oder im Gebet. Eine gesunde Portion Humor kann in vielen Situationen helfen, nicht zu verzweifeln oder zu resignieren.
Unsere Patienten sind wunderbare Lehrer. Sie lehren uns zu leben und zu geniessen.
In diesem Sinne: Geniessen Sie Ihre Reise!
Weitere Informationen zur Abteilung Palliative Care finden Sie auf unserer Webseite www.ksgr.ch/palliative-care.